Rechenzentrum-Evaluation: Kriterien, Standorte, Migration
Neue Anforderungen an Sicherheit, Verfügbarkeit und Flexibilität, Kostendruck oder strategische Vorgaben: Es gibt viele Gründe, ein Rechenzentrum neu zu denken. Die erste Frage ist banal, aber entscheidend: Make or buy? Für die meisten Unternehmen ist der Bau eigener DC-Flächen kein Kerngeschäft – Know-how, Aufwand/Nutzen und Lifecycle sprechen oft für einen Betrieb in einem professionellen Data Center.
Was wirklich zählt: Anforderungen klar machen
Am Anfang stehen harte Kriterien – und sie gehören schriftlich fixiert:
Technologie: Security beim Provider, Abdeckung der technischen und räumlichen Bedürfnisse, skalierbare Fläche und Leistung, Latenz in Abhängigkeit von DC-zu-DC-Distanz, beherrschbare Komplexität.
Operation: Geografische Lage, unterschiedliche Geländekammern (Risikotrennung), Verfügbarkeit und Tier-Level, 7×24×365-Erreichbarkeit.
Strategie: Fit zur Unternehmens- und IT-Strategie, Partnerschaften, Synergien.
Zeit & Geld: Einmalige und wiederkehrende Kosten (Aufbau, Raum, Energie, Connectivity), Bezugszeitpunkt, Projektdauer, Hardware-Lifecycle.
Standort-Design: Zwei DC sind die Regel – Distanz bewusst wählen
Praxisstandard sind zwei Standorte im Aktiv-Aktiv- oder Aktiv-Passiv-Verbund. Anwendungen und Infrastruktur werden redundant verteilt; ein Failover erfolgt unterbruchslos oder innert Minuten. Für synchrone Spiegelung gilt als grobe Richtschnur: wenige bis 40–50 km Distanz. Asynchron erlaubt deutlich grössere Abstände. In jedem Fall sollten die DCs in unterschiedlichen Geländekammern liegen – Natur- und Infrastrukturrisiken trennen sich so sauber.
So evaluierst du fair: RFP, Shortlist, Nutzwertanalyse – und der Besuch vor Ort
Die Basis ist ein Request for Proposal mit deinen Anforderungen. Danach folgt eine Grobselektion anhand von K.-o.-Kriterien und eine Shortlist (typisch 3–4 Anbieter). Die Offerten werden minutiös anhand gewichteter Kriterien ausgewertet (Nutzwertanalyse). Und dann: hingehen. Ein Besuch im Rechenzentrum – inklusive Team, Prozesse und Reportings – liefert Eindrücke, die kein PDF ersetzt. Am Ende gehst du eine langfristige Partnerschaft ein; das Bauchgefühl gehört dazu.
Konzeption: Rahmen festlegen, Architektur entwerfen, Migration planen
Nach dem Entscheid beginnt die eigentliche Arbeit. Lege Rahmenbedingungen und Grundsätze fest (Design, Infrastruktur, Migration). Erarbeite die Lösungsarchitektur gemeinsam mit den Fachspezialist:innen: Netzwerk/Connectivity, Server/Storage/Datenbanken, Verteilkonzept, Security/Datenschutz, Telefonie, Wiederanlaufplanung. Parallel dazu braucht es eine Ist-Analyse von Systemen, Lifecycle und der Korrelation zwischen Geschäftsprozessen, Anwendungen, Servern und Datenbanken – das ist die Grundlage für Kosten und Umsetzung.
Für die Migration definierst du Move-Szenarien (Big Bang, mehrere Wochenenden, Betrieb unter Last, Kombinationen). Migrationsverfahren werden beschrieben, getestet und mit allen Beteiligten abgestimmt. Prozesse, Rollen, Kompetenzen und Verantwortungen müssen rechtzeitig geklärt und dokumentiert sein.
Umsetzung: Testen, was das Zeug hält – später gibt es diese Chance nicht mehr
Wöchentliche Abstimmungen mit den Spezialist:innen und ein Projektplan mit permanentem Blick auf den kritischen Pfad sind Pflicht. Vor dem Go-Live werden neue DC- und IT-Infrastrukturen auf Herz und Nieren geprüft: Verbundtests (DC-Infrastruktur, Netzwerk, Firewall, Datenbanken, etc.) für Funktionalität und Performance. Schreibe deine Testschritte, Ziele und Erwartungen in Drehbüchern nieder – und teste gründlich. Wenn die IT stabil läuft, probiere die Migrationsverfahren in einem Proof of Concept aus: Wähle eine oder mehrere Anwendungen und «zügle» sie mit den vorgesehenen physischen und virtuellen Verfahren ins neue DC.
Kritische Erfolgsfaktoren
- Genügend Zeit für Detailkonzeption und Planung reservieren; die eigentliche Migrationsphase sollte maximal ein halbes Jahr dauern.
- Rollen und Verantwortungen klar definieren.
- Ein interdisziplinäres Projektteam mit erfahrener Projektleitung aufstellen.
- Stakeholder frühzeitig involvieren, regelmässig und transparent kommunizieren.
- Meilensteine feiern – DC-Projekte dauern oft ein bis zwei Jahre; Motivation ist ein Erfolgsfaktor.
Fazit
Ein DC-Umzug ist kein Infrastrukturprojekt «nebenbei». Wer Anforderungen sauber definiert, Standorte bewusst auswählt, Anbieter professionell evaluiert und Migrationen vorab erprobt, minimiert Risiko und Kosten – und stabilisiert den Betrieb langfristig. Alles andere ist Hoffnung; das reicht im Rechenzentrumsbetrieb nicht.